30. Abenteuer
Wie Hagen und Volker
Schildwacht standen
Der Tag war zu Ende, nun kam heran
die Nacht:
Den reisemüden Recken war
Sorge nun erwacht,
Wo sie ruhen sollten und in ihr Bette
gehn.
Darüber fragte Hagen:
Bescheid ist ihnen geschehn. (1870)
Gunther sprach zum Wirte: “Gott lass
euchs wohlgedeihn:
Wir wollen schlafen gehen, mag es mit
Urlaub sein.
Wenn ihr gebietet, kommen wir wieder
morgen fruh.”
Der Wirt entließ die
Gäste wohlgemut zu ihrer Ruh. (1871)
Von allen Seiten drängen man
die Gäste sah;
Volker der Kühne sprach zu
den Heunen da:
“Wie dürfet ihr uns Recken
vor die Füße gehn?
Und wollt ihr das nicht meiden, so
wird euch übel geschehn. (1872)
“So schlag ich dem und jenem so
schweren Geigenschlag,
Hat er einen Treuen, dass ders
beweinen mag.
Nun weichet vor uns Recken,
fürwahr, mich dünkt es gut:
Es heißen alle Degen und
haben doch nicht gleichen Mut.” (1873)
Als in solchem Zorne sprach der
Fiedeler,
Sah der kühne Hagen
über die Achsel her;
Er sprach: “Euch rät zum
Heile der kühne Fiedelmann:
Geht zu den Herbergen, ihr in der
Kriemhilde Bann. (1874)
Wonach euch hier gelüstet,
es fügt sich nicht dazu:
Wollt ihr was beginnen, so kommt uns
morgen früh,
Und lasst uns Reisemüde heut
der Ruhe pflegen:
Es geschieht wohl nimmer so willig
mehr von einem Degen.” (1875)
Da brachte man die Gäste in
einen weiten Saal.
Da fanden sie bereitet den Recken
allzumal
Manches reiche Bette, lang genug und
breit.
Gern schüf ihnen Kriemhild
das allergrößte Leid. (1876)
Manche schmucke Decke von Arras da
lag
Aus lichthellem Zeuche, und manches
Überdach
Aus arabischer Seide, so gut sie
mochte sein;
Darüber lagen Leisten, die
gaben herrlichen Schein. (1877)
Viel Bettlaken fand man von Hermelin
gemacht
Und von schwarzem Zobel, worunter sie
die Nacht
Sich Ruhe schaffen sollten bis an den
lichten Tag.
Ein Fürst mit seinem Volke
wohl nimmer herrlicher lag. (1878)
“O weh der Herberge!”, sprach
Geiselher das Kind,
“Und weh meiner Freunde, die mit uns
kommen sind.
Wie gut es meine Schwester mir auch
hier erbot,
Wir gewinnen, fürcht ich,
alle von ihrem Hasse den Tod.” (1879)
“Nun lasst eure Sorge,” sprach Hagen
der Degen,
“Ich will heunte selber der
Schildwache pflegen
Und will euch wohl behüten
bis an den lichten Tag:
Seid drum ohne Sorgen: Und mag es
wenden, wer da mag.” (1880)
Da neigten sich ihm alle und sagten
ihm den Dank.
Sie gingen zu den Betten. Da
währt' es nicht lang
Bis in Ruhe lagen die Helden
wohlgetan.
Hagen der Kühne sich rasch
zu waffnen begann. (1881)
Da sprach der Fiedelspieler, Volker
der Degen:
“Verschmäht ihr nicht,
Hagen, so will ich mit euch pflegen
Heunt der Schildwache bis an den
lichten Tag.”
Da dankte Volkern der Degen
gütlich und sprach: (1882)
“Nun lohn euch Gott vom Himmel,
lieber Volker,
Zu allen meinen Sorgen
wünsch ich niemand mehr
Als nur euch alleine, befahr ich
irgend Not:
Ich will es wohl vergelten, es
verhüt es denn der Tod.” (1883)
Da warfen sich die beiden in ihr
licht Gewand.
Da fasste jedweder den Schild an
seine Hand:
Sie gingen aus dem Hause vor die Türe
stehn
Und hüteten der
Gäste; das ist mit Treue geschehn. (1884)
Volker der Schnelle legte von der
Hand
Seinen Schild den guten an des Saales
Wand:
Dann wandt er sich zurücke,
wo seine Fiedel war
Und diente seinen Freunden: Das ziemt
ihm trefflich fürwahr. (1885)
Er saß auf einem Steine
unter des Hauses Tor.
So kühnen Fiedelspieler sah
man nie zuvor:
Als der Saiten Tönen ihm so
süß erklang,
Die stolzen Heimatlosen, die sagten
des Volkern Dank. (1886)
Da klangen seine Saiten, dass all das
Haus erscholl.
Seine Kraft uns sein Geschicke, die
waren beide voll:
Süßer immer
süßer zu geigen er begann;
So spielt' er in den Schlummer gar
manchen sorgenden Mann. (1887)
Da sie entschlafen waren und Volker
das befand,
Da nahm der Degen wieder den Schild
an die Hand
Und ging aus dem Hause vor die
Türe stehn,
Die Gäste zu bewahren vor
denen in Kriemhildens Lehn. (1888)
Nach dem ersten Schlafe, wenn es erst
da geschah,
Volker der kühne Helme
glänzen sah
Fernher durch das Dunkel: Die in
Kriemhilds Bann
Hätten an den
Gästen gerne Schaden getan. (1889)
* Bevor da Kriemhilde die Recken
abgesandt,
Sprach sie: “Wenn ihr sie findet, so
seid um Gott ermahnt,
Dass ihr niemand tötet als
den einen Mann,
Hagen den Ungetreuen: Die andern
rühret nicht an.” (1890)
Da sprach der Fiedelspieler: “Freund
Hagen, höret mich,
Wir tragen diese Sorge selbander
ritterlich.
Ich sehe Volk in Waffen vor dem Hause
stehn:
So viel ich mag erkennen, so wollen
sie uns hier bestehn.” (1891)
“So schweiget,” sprach da Hagen,
“erwarten wir sie hier.
Eh sie uns gewahren wird ihrer Helme
Zier
Zerschroten mit den Schwertern von
unser beider Hand:
Sie werden Kriemhilden übel
wieder heimgesandt.” (1892)
Der Heunenrecken einer das gar bald
ersah,
Die Türe sei
behütet: Wie balde sprach er da:
“Was wir im Sinne hatten kann nun
nicht geschehn:
Ich seh den Fiedelspieler vor dem
Hause Schildwacht stehn. (1893)
Der trägt auf dem Haupte
einen Helm von lichtem Glanz.
Der ist hart und lauter, stark dazu
und ganz;
Ihm glühn die Panzerringe
wie das Feuer tut.
Daneben steht auch Hagen: Die
hüten wohl der Gäste gut.” (1894)
Da wandten sie sich wieder. Als
Volker das ersah,
Zu seinem Heergesellen zornig sprach
er da:
“Nun lasst mich von dem Hause zu den
Recken gehn:
So frag ich um die Märe die
in der Kriemhilde Lehn.” (1895)
“Nicht doch, wenn ihr mich liebet,”
sprach Hagen dagegen,
“Wenn ihr das Haus verließet,
diese schnellen Degen
Brächten euch mit Schwertern
leicht in solche Not,
Dass ich euch helfen müsste,
wärs aller meiner Freunde Tod. (1896)
“Wenn wir dann beide gerieten in den
Streit,
So drängen ihrer viele oder
vier in kurzer Zeit
Leichtlich zu dem Hause und
schüfen solche Not
An den Schlafenden drinnen, dass wir
bereuten bis zum Tod.” (1897)
Da sprach wieder Volker: So lasst es
nur geschehn,
Dass sie inne werden, wir haben sie
gesehn:
So können uns nicht leugnen
die in Kriemhilds Bann,
Dass sie an den Gästen gern
untreu hätten getan.” (1898)
Da rief ihnen Volker entgegen gleich
zur Hand:
“Was geht ihr so gewaffnet, ihr Degen
auserkannt?
Wollt ihr morden reiten, ihr in
Kriemhilds Bann?
So nehmt mich zur Hilfe und meinen
Heergesellen an.” (1899)
Niemand gab Antwort; zornig war sein
Mut:
“Pfui, ihr verzagten Wichter,” so
sprach der Degen gut;
“Im Schlaf uns zu ermorden, schlicht
ihr dazu heran?
Das ward so guten Helden bisher noch
selten getan.” (1900)
Da ward auch die Märe der
Königin bekannt
Vom Abzug ihrer Boten: Wie schwer sie
das empfand!
Da fügte sie es anders; gar
grimmig war ihr Mut.
Das mussten bald entgelten viel der
Helden kühn und gut. (1901)
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