18. Abenteuer
Wie Siegmund heimkehrte
Der Schwäher Kriemhildens ging
hin wo er sie fand:
Da sprach er zu der Königin:
“Lasst uns in unser Land:
Wir sind unliebe Gäste,
wähn ich, hier am Rhein.
Kriemhild, liebe Fraue, nun folgt uns
zu dem Lande mein. (1105)
“Dass man in diesen Landen uns so
beraubet hat
Eures edeln Mannes durch
böslichen Verrat,
Ihr sollt es nicht entgelten: Getreu
will ich euch sein.
Aus Liebe meines Sohnes und des edeln
Kindes sein. (1106)
Ihr sollt auch, Fraue, herrschen mit
aller der Gewalt,
Die Siegfried euch verliehen, der Degen
wohlgestalt.
Das Land und auch die Krone sei euch
untertan:
Euch sollen gerne dienen die Degen in
Siegfrieds Bann.” (1107)
Dass man reiten wollte, den Knechten
wards gesagt:
Da sah man nach den Rossen eine
schnelle Jagd;
Sie mochten ungern leben in der
starken Feinde Land.
Fraun und Maide suchten hervor ihr
Reisegewand. (1108)
Als König Siegmund gerne
wäre weg geritten,
Da begann Kriemhilden die Mutter zu
bitten,
Sie sollte bei den Freunden im Lande
doch bestehn.
Da sprach die Freudenarme: “Das kann
schwerlich geschehn: (1109)
Wie vermöcht ichs, mit den
Augen den immer anzusehn,
Von dem mir armen Weibe so
großes Leid geschehn?”
Da sprach der junge Geiselher: “Liebe
Schwester mein,
Du sollst bei deiner Treue hier bei
deiner Mutter sein. (1110)
Die dir das Herz beschwerten und
trübten deinen Mut,
Du bedarfst nicht ihrer Dienste, du
zehrst von meinem Gut.”
Sie sprach zu dem Recken: “Das kann
ja nicht geschehn:
Vor Leide müsst ich sterben,
wenn ich Hagen sollte sehn.” (1111)
“Der soll dir nicht begegnen, viel
liebe Schwester mein.
Du sollst bei Geiselheren, deinem
Bruder sein;
Ich will die wohl vergüten
deines Mannes Tod.”
Da sprach die Freudenarme: “Das
täte Kriemhilden Not.” (1112)
Als er ihr der Junge so gütlich
erbot,
Da begannen auch zu flehen Ute und
Gernot
Und ihre treuen Freunde, sie
möchte da bestehn:
Sie habe wenig Sippen unter
Siegfriedens Lehn. (1113)
“Sie sind euch alle fremde;” sprach
da Gernot,
“Wie stark auch einer gelte, so rafft
ihn doch der Tod.
Bedenkt das, liebe Schwester und
tröstet euern Mut:
Bleibt hier bei euern Freunden, es
gerät euch sicher gut.” (1114)
Sie gelobt' es Geiselheren, sie wolle
da bestehn.
Da brachte man die Rosse denen in
Siegmunds Lohn,
Als sie reiten wollten nach
Nibelungenland;
Da war auch aufgesäumt der
Recken Zeuch und Gewand. (1115)
Da ging König Siegmund vor
Kriemhilde stehn
Und sprach zu der Fraue: “Die in
Siegfrieds Lehn
Warten bei den Rossen: Reiten wir
denn hin,
Da ich gar so ungern hier bei den
Burgonden bin.” (1116)
Da sprach Frau Kriemhilde: “Mir raten
Freunde mein,
Die besten die ich habe, bei ihnen
soll ich sein.
Ich habe wenig Freunde in
Nibelungenland.”
Leid tat es Siegmunden, da ers an
Kriemhilden fand. (1117)
Da sprach König Siegmund:
Das lasst euch niemand sagen:
Vor allen meinen Freunden sollt ihr
die Krone tragen
Nach rechter
Königswürde, wie ihr sonst getan:
Ihr sollt es nicht entgelten, dass
ihr verloren habt den Mann. (1118)
“Fahrt auch mit uns zur Heimat um
euer Kindelein:
Das sollt ihr keine Waise, Fraue,
lassen sein.
Ist euer Sohn erwachsen, der
tröstet euch den Mut;
Derweilen soll euch dienen mancher
Degen kühn und gut.” (1119)
Da sprach sie: “Herr Siegmund, ich
kann nicht mit euch gehn,
Ich muss hier verbleiben, mag was da
will geschehn,
Bei meinen Anverwandten, die mir
helfen klagen.”
Da wollten diese Mären den
guten Recken nicht behagen. (1120)
Sie sprachen einhellig: “So
möchten wir gestehn,
Es sei in dieser Stunde uns erst ein
Leid geschehn.
Wollt ihr nun hier im Lande bei
unsern Feinden sein,
So könnte Heiden niemals
eine Hoffahrt übler gedeihn.” (1121)
“Ihr sollt ohne Sorge Gott befohlen
fahren:
Man gibt euch gut Geleite, ich lass
euch wohl bewahren
Bis zu euerm Lande; mein liebes
Kindelein,
Das soll euch guten Recken auf Gnade
befohlen sein.” (1122)
Als sie das recht vernahmen, sie
wolle nicht von dann,
Da weinten all die Degen in
Siegmundens Bann.
Mit welchem Herzensjammer nahm da
Siegmund
Urlaub von Kriemhilden! Da ward ihm
Unfreude kund. (1123)
“Weh dieses Hofgelages!”, sprach der
König hehr:
“Einem Fürsten und den
seinen geschieht wohl nimmermehr
Einer Kurzweil willen, was uns hier
ist geschehn:
Man soll uns nimmer wieder hier bei
den Burgonden sehn.” (1124)
Da sprachen laut die Degen in
Siegfriedens Lehn:
“Wohl möchte noch die Reise
in dieses Land geschehn,
Wenn wir den nur fänden, der
uns den Herrn erschlug:
Sie haben starker Feinde bei seinen
Freunden genug.” (1125)
Er küsste Kriemhilden;
jammernd sprach er da,
Als er daheim zu bleiben sie so
entschlossen sah:
“Wir reiten arm an Freuden nun heim
in unser Land.
Alle meine Sorgen sind wir erst jetzo
bekannt.” (1126)
Sie ritten ungeleitet von Wormes
überrhein.
Sie mochten voll Vertrauens in ihrem
Mute sein.
Würden sie von jemand in
Feindschaft angerannt,
Dass sich wohl wehren sollte der
kühnen Nibelungen Hand. (1127)
Sie beurlaubten bei niemanden sich.
Da sah man Geiselheren und Gernot
minniglich
Zu dem Degen kommen; ihnen war sein
Schade leid:
Das ließen ihn wohl schauen
die kühnen Helden allbereit. (1128)
Da sprach wohl gezogen zu ihm Herr
Gerenot:
“Wohl weiß es Gott im
Himmel, an Siegfriedens Tod
Bin ich ganz unschuldig: Ich
hört auch niemals sagen,
Wer ihm feind hier wäre: Ich
muss ihn billig beklagen.” (1129)
Da gab ihm gut Geleite Geiselher das
Kind.
Da bracht er ohne Sorgen, die sonst
bei Leide sind,
Den König und die Recken
heim nach Niederland;
Wie wenig der Verwandten man dort
fröhlich wieder fand! (1130)
Wie's ihnen nun ergangen,
weiß ich nicht zu sagen
Man hörte Kriemhilden zu
allen Zeiten klagen,
Dass ihr Niemand tröstete
das Herz noch den Mut,
Außer Geiselheren; der war
getreu und auch gut. (1131)
Brunhild die schöne des
Übermutes pflag:
Wie viel Kriemhilde weinte, was
fragte sie darnach!
Sie war zu Lieb und Treue ihr
nimmermehr bereit:
Bald schuf auch ihr Kriemhilde noch
viel schweres Herzeleid. (1132)
|