7. Abenteuer
Wie Gunther Brunhilden
gewann
Ihr Schifflein unterdessen war auf
der Wogenflut
Zur Burg heran geschwommen; da sah
der König gut
Oben in den Fenstern manche
schöne Maid;
Dass er sie nicht erkannte, das war
in Wahrheit ihm leid. (401)
Er fragte Siegfrieden, den Gesellen
sein:
“Hättet ihr wohl Kunde um
diese Mägdelein,
Die droben nach uns schauen hernieder
auf die Flut?
Wie ihr Herr auch heiße, es
sind Frauen hochgemut.” (402)
Da sprach der Herre Siegfried: “Nun
sollt ihr heimlich spähn
Nach den Jungfrauen, und sollt mir
dann gestehen
Welche ihr nehmen wolltet,
wär euch die Wahl verliehn.”
“Das will ich,” sprach da Gunther,
dieser Ritter schnell und kühn. (403)
“So schau ich ihrer eine in jenem
Fenster an,
Im Schneeweißen Kleide, die
ist so wohlgetan:
Die wählen meine Augen um
ihren schönen Leib;
Wenn ich gebieten dürfte,
sie müsste werden mein Weib.” (404)
“Dir hat recht erkoren deiner Augen
Schein:
Es ist die edle Brunhild, das
schöne Mägdelein,
Nach der dein Herze ringet, dein Sinn
und auch dein Mut.”
Ihre Gebärden alle
däuchten König Gunthern gut. (405)
Da hieß die Königstochter
von den Fenstern gehn
Ihre herrlichen Maide: Sie sollten
nicht da stehn
Zum Anblick für die Fremden;
sie folgten unverwandt.
Was da die Frauen taten, das ist uns
auch wohl bekannt. (406)
Sie zierten den fremden
Gästen sich entgegen
Wie zu allen Zeiten schöne
Frauen pflegen:
Dann an die Fensterscharten traten
sie heran,
Dass sie die Helden sähen:
Das war aus Neugier getan. (407)
* Nicht mehr als Viere waren, die
kamen in das Land.
Siegfried der kühne ein Ross
zog auf den Strand.
Das sahen durch die Fenster die
schönen Frauen an:
Große Ehre däuchte
sich König Gunther getan. (408)
* Er hielt ihm bei dem Zaune das
zierliche Ross,
Das war gut und stattlich, stark dazu
und groß,
Bis der König Gunther fest
im Sattel saß.
Also dient' ihm Siegfried, was er
doch später ganz vergaß. (409)
* Da zog er auch das seine aus dem
Schiff heran;
Er hatte solche Dienste gar selten
sonst getan.
Dass er am Stegreif Helden je
gestanden wär.
Das sahen durch die Fenster diese
schönen Frauen hehr. (410)
Es war in gleicher Weise den Degen
allbereit
Von schneeblanker Farbe das Ross und
auch das Kleid,
Dem einen wie dem andern, und
schön der Schilder Rand:
Die warfen hellen Schimmer an der
edeln Recken Hand. (411)
So ritten sie herrlich vor
Brunhildens Saal,
Ihre Sättel wohl gesteinet,
die Brustriemen schmal;
Daran hingen Schellen von lichtem
Golde rot:
Sie kamen zu dem Lande wie ihre
Tugend gebot. (412)
* Mit Speeren wohl geschliffen, mit
Schwertern wohlgetan,
Die reichten den Kühnen bis
zum Sporn hinan.
Die Wohlgemuten führten ihn
scharf genug und breit:
Das alles sah Brunhilde, die viel
herrliche Maid. (413)
Mit ihm kam da Dankwart und der Degen
Hagen:
Diese Ritter trugen, wie wir
hören sagen,
Von rabenschwarzer Farbe ein reich
gewirktes Kleid;
Neu waren ihre Schilde, gut, dazu
auch lang und breit. (414)
Von India dem Lande trugen sie
Gestein,
Das warf an ihrem Kleide auf und ab
den Schein.
Sie ließen unbehütet
das Schifflein bei der Flut.
So ritten nach der Veste diese
Heldenkühn und gut. (415)
Sechsundachtzig Türme sahn
sie darin zumal,
Drei weite Pfalzen und einen
schönen Saal
Von edelm Marmelsteine so
grün als wie das Gras,
Darin Brunhilde selber mit ihrem
Ingesinde saß. (416)
Die Burg war erschlossen, weithin
aufgetan;
Entgegen liefen ihnen die in
Brunhilds Bann,
Die Gäste zu empfangen in
ihrer Herrin Land.
Die Rosse nahm man ihnen und die
Schilde von der Hand. (417)
Da sprach der Kämmrer einer:
“Gebt uns euer Schwert
Und die lichten Panzer.” “Das wird
euch nicht gewährt,”
Sprach von Tronje Hagen, “wir wollens
selber tragen.”
Da begann ihm Siegfried von des Hofs
Gebrauch zu sagen: (418)
“In dieser Burg ist Sitte, das will
ich euch sagen,
Dass die Gäste nimmer Waffen
sollen tragen:
Lasst sie von hinnen bringen, das ist
wohl getan.”
Ihm folgte wider Willen Hagen,
König Gunthers Mann. (419)
Man ließ den Gästen
schänken und schaffen gute Ruh.
Manchen schnellen Recken sah man dem
Hofe zu
Allenthalben gehen in
fürstlichem Gewand:
Doch wurden nach den Kühnen
rings her die Blicke gesandt. (420)
* Da wurden auch Brunhilden gesagt
die Mären,
Dass unbekannte Recken gekommen
wären
In herrlichem Gewande geflossen auf
der Flut;
Darob begann zu fragen diese Jungfrau
schön und gut: (421)
“Ihr sollt mich wissen lassen,”
sprach das Königskind,
“Wer die unbekannten Recken dorten
sind,
Die ich stehen sehe so herrlich und
hehr,
Und wem zu Leib die Helden wohl
gefahren sind hieher.” (422)
Des Gesindes sprach da einer: “Frau,
ich muss gestehn,
Dass ich ihrer keinen je zuvor
gesehn;
Doch einer ist darunter, der
Siegfrieds Weise hat:
Den sollt ihr wohl empfangen; das
ist, Herrin, mein Rat. (423)
* Der andre der Gesellen, gar
löblich dünkt er mich;
Wenn er die Macht
besäße, zum König ziemt' er sich
Ob weiten Fürstenlanden; die
mag er wohl versehn.
Man sieht ihn bei den andern dort so
recht herrlich stehn. (424)
* Der dritte der Gesellen, der ist
von grimmem Sinn,
Doch auch von schönem
Wuchse, reiche Königin.
Die Blicke sind geschwinde, deren so
viel er tut:
Er hat in seinem Sinne, ich
wähne, grimmigen Mut. (425)
* Der Jüngste darunter, gar
löblich dünkt er mich,
Man sieht den reichen Degen so recht
minniglich
In jungfräulicher Sitte und
edler Haltung stehn:
Wir müsstens alle
fürchten, wär ihm ein Leid hier geschehn. (426)
* So freundlich er gebahre, so
wohlgetan sein Leib.
Er brächte doch zum Weinen
manch waidliches Weib,
Wenn er begann zu zürnen:
sein Wuchs ist wohl so gut,
Er ist an allen Tugenden ein Ritter
kühn und wohlgemut.” (427)
Da sprach die Königstochter:
“Nun bringt mir mein Gewand:
Und ist der starke Siegfried gekommen
in mein Land
Um meiner Minne willen, es geht ihm
an den Leib:
Ich fürcht ihn nicht so
heftig, dass ich würde sein Weib. (428)
Brunhild die schöne trug
bald erlesen Kleid.
Da ging an ihrer Seite manche
schöne Maid,
Wohl hundert oder drüber;
geziert war ihr Leib:
Die Gäste wollte schauen
manches waidliche Weib. (429)
Mit ihnen gingen Degen und Isenland,
Brunhildens Recken, die Schwerter in
der Hand,
Fünfhundert oder
drüber; das war den Gästen leid.
Aufstanden von den Sitzen die
kühnen Helden allbereit. (430)
Als die Königstochter
Siegfrieden sah,
Wohl gezogen sprach sie zu dem Gaste
da:
“Willkommen sied, Herr Siegfried,
hier in diesem Land.
Was meinet eure Reise? Das macht mir,
bitt ich, bekannt.” (431)
“Viel Dank muss ich euch sagen, Frau
Brunhild,
Dass ihr geruht mich
grüßen, Fürstentochter mild,
Vor diesem edeln Recken, der hier vor
mir steht;
Denn er ist mein Herre: der Ehre
Siegfried wohl enträt. (432)
Er ist am Rheine König, was
soll ich sagen mehr?
Nur um deinetwillen fuhren wir
hierher.
Er will dich gerne minnen, was ihm
geschehen mag.
Nun bedenke dich bei Zeiten: Mein
Herr lässt nimmermehr nach. (433)
Er ist geheißen Gunther, ein
König reich und hehr;
Erwirbt er deine Minne, nichts weiter
wünscht er mehr.
Mit ihm bin ich gefahren in dieses
Land um dich!
Wenn er mein Herr nicht
wäre, so ließ ich es sicherlich.” (434)
Sie sprach: “Ist er dein Herre,
stehst du in seinem Lehn,
Kann er, die ich erteile, meine
Spiele dann bestehn
Und bleibt darin der Meister, so wird
ich sein Weib:
Gewinn ich aber eines, es geht euch
allen an den Leib.” (435)
Da sprach der Tronje Hagen: “Nun
zeigt uns, Königin,
Was ihr für Spiel' erteilet.
Eh euch den Gewinn
Mein Herre Gunther ließe, so
müsst es übel sein:
Er getraut wohl zu erwerben ein so
schönes Mägdelein.” (436)
“Den Stein soll er werfen und springen
darnach,
Den Speer mit mir schießen:
Drum sei euch nicht zu jach.
Ihr könnt hier leicht
verlieren die Ehr und auch den Leib:
Das geb ich zu bedenken,” sprach das
minnigliche Weib. (437)
Siegfried der schnelle ging vor den
König hin
Und bat ihn frei zu reden mit der
Königin
Ganz nach seinem Willen; angstlos
soll' ersein:
“Ich will dich wohl
beschützen vor ihr mit den Listen mein.” (438)
Da sprach der König Gunther:
“Königstochter hehr:
Erteilt mir was ihr wollet und
wär es auch noch mehr,
Das beständ ich alles um
euern schönen Leib:
Mein Haupt will ich verlieren, so ihr
nicht werdet mein Weib.” (439)
Als da seine Rede vernahm die
Königin,
Bat sie, wie ihr geziemte, das Spiel
nicht zu verziehn.
Sie ließ sich zum Streite
bringen ihr Gewand,
Einen goldnen Panzer und einen gutes
Schildesrand. (440)
Ein Waffenhemd von Seide zog sich an
die Maid,
Das konnte keine Waffe verletzen je
im Streit,
Von Zeugen wohl geschaffen aus Libya
dem Land:
Lichtgewirkte Borten
ergänzten an seinem Rand. (441)
Derweilen hatt ihr Übermut
den Gästen schwer bedräut:
Dankwart und Hagen die standen
unerfreut;
Wie es dem Herrn erginge besorgte
sehr ihr Mut;
Sie dachten: “Unsre Reise bekommt uns
Recken nicht gut.” (442)
Derweilen war auch Siegfried, der
waidliche Mann,
An das Schiff gegangen, eh wer
darüber sann,
Wo er die Tarnkappe verborgen liegen
fand,
In die er hurtig schlüpfte;
da ward er niemand bekannt. (443)
Er eilte bald zurücke, da
sah er Recken viel;
Es ordnete die Königin allda
ihr hohes Spiel.
Er ging hinzu verstohlen und dass ihn
niemand sah
Von allen die da waren; gar
listiglich das geschah. (444)
Es war ein Kreis gezogen, wo das
Spiel geschehn
Vor kühnen Recken sollte,
die es wollten sehn.
Wohl an siebenhundert sah man Waffen
tragen:
Wer den Sieg errungen, das sollten
sie nach Wahrheit sagen. (445)
Da war Brunhild gekommen, die man
gewaffnet fand,
Als ob sie streiten wolle nun aller
Könge Land.
Wohl trug sie auf der Seide der
Stäblein viel von Gold;
Ihre lichte Farbe glänzte
darunter hold. (446)
Nun kam ihr Gesinde, das trug an der
Hand
Aus allrotem Golde einen Schildesrand
Mit hartem Stahlbeschlage,
mächtig groß und breit,
Worunter spielen wollte diese
minnigliche Maid. (447)
An einer edeln Borte ward ihr Schild
getragen,
Darauf Edelsteine, wie Gras so
grüne, lagen;
Die warfen mannigfaltig Gefunkel auf
das Gold.
Der bedurfte große
Kühnheit, dem die Jungfrau wurde hold. (448)
Der Schild war untern Buckeln, so hat
man uns gesagt,
Von dreier Spannen Dicke; den trug
hernach die Magd.
An Stahl und auch an Golde war er
reich genug,
Den ihrer Kämmrer einer mit
Mühe selbvierter trug. (449)
Als der Degen Hangen den Schild
hertragen sah,
Wie sprach mit gemeinem Mute der Held
von Tronje da:
“Wie nun, König Gunther? Wie
verlieren wir den Leib?
Die ihr begehrt zu minnen, die ist
wohl des Teufels Weib.” (450)
* Nun hört von den Gewanden,
woran sie reich genug:
Von Azagoger Seide einen Wappenrock
sie trug,
Der war reich und edel, davon warf
hellen Schein
Von der Königstochter gar
mancher herrliche Stein. (451)
Da brachte man der Frauen, schwer und
übergroß,
Einen scharfen Wurfspieß, den
sie stets verschoss,
Stark und ungefüge,
mächtig und breit zumal:
Der hatt an seinen Seiten zwei
Schneiden von scharfem Stahl. (452)
Von des Spießes Schwere
höret Wunder sagen:
Viertehalb Stab Eisen war dazu
verschlagen.
Ihn trugen kaum dreie von Brunhildens
Bann;
Gunther der edle darum zu sorgen
begann. (453)
* Er dacht in seinem Sinne: Was soll
dieses sein?
Der Teufel aus der Hölle,
wie könnt er hier gedeihn?
Wenn ich lebend wieder in Burgonden
wär,
Ihr schüfe meine Minne wohl
selten große Beschwer. (454)
* Er hatt in seinen Sorgen, das
wisset, Leid genug.
All sein Kampfgeräte man ihm
zur Stelle trug:
Bald stand der reiche König
in seiner Waffen Hut;
Vor Leide hatte Hagen fast gar
verloren den Mut. (455)
Da sprach Hagens Bruder, der
kühne Dankwart:
“Mich reuet in der Seele diese
Hofesfahrt.
Die immer Recken hießen, wie
verlieren wir den Leib!
Soll uns in diesem Lande nun
verderben ein Weib? (456)
Des bin ich sehr verdrossen, dass ich
kam in dieses Land.
Hätte Bruder Hagen seine
Waffen an der Hand
Und auch ich die meinen, so sollten
sich in Hut
Brunhildens Recken nehmen mit all
ihrem Übermut. (457)
* “Sie sollten sich bescheiden, das
glaubet mir nur;
Hätt ich den Frieden
tausendmal bestärkt mit einem Schwur,
Bevor ich sterben sähe den
lieben Herren mein,
Das Leben müsste lassen
dieses schöne Mägdelein.” (458)
“Wir möchten ungefangen wohl
räumen dieses Land,”
Sprach sein Bruder Hagen,
“hätten wir das Gewand,
Das wir zum Streit bedürften
und die Schwerter gut,
So sollte sich wohl geben der
schönen Fraue Übermut.” (459)
Wohl hörte was er sagte die
Fraue wohlgetan;
Sie sah ihn über Achsel
lachenden Mundes an.
“Nun er so kühn sich
dünket, so bringt doch ihr Gewand,
Ihre scharfen Waffen gebt den Degen
an die Hand. (460)
* “Es kümmert mich so wenig,
ob sie gewaffnet sind,
Als ob sie bloß da
stünden,” so sprach das Königskind.
“Ich fürchte niemands
Stärke, den ich noch je gekannt;
Ich mag auch wohl genesen im Streite
vor des Königs Hand.” (461)
Als sie die Schwerter hatten, nach
der Maid Gebot,
Dankwart der kühne ward vor
Freuden rot.
“Nun spielet, was ihr wollet,” so
sprach der Degen wert,
“Gunther ist unbezwungen, wir haben
wieder unser Schwert.” (462)
Brunhildens Stärke zeigte
sich nicht klein:
Man trug ihr zu dem Kreise einen
schweren Stein,
Groß und ungeheuer, rund und
stark und breit.
Ihn trugen kaum Zwölfe
dieser Degen kühn im Streit. (463)
Den warf sie allerwegen, wie sie den
Spieß verschoss.
Darüber war die Sorge der
Burgonden groß.
“Wen will der König
werben?”, sprach Herr Hagen laut:
“Sie mag wohl in der Hölle
sein des bösen Teufels Braut.” (464)
An ihre weißen Arme sie die
Ärmel wand,
Sie begann zu fassen den Schild mit
der Hand,
Sie schwang den Spieß zur
Höhe: da ging es an den Streit.
Die fremden Gäste bangten
vor Brunhildens Zorn und Neid. (465)
Und wär ihm da Siegfried zu
Hilfe nicht gekommen,
So hätte sie das Leben
Gunthern wohl benommen.
Er nahte sich verstohlen und
rührte seine Hand;
Gunther seine Künste mit
großen Sorgen befand. (466)
* “Was hat mich berühret?”,
dachte der kühne Mann,
Und wie er um sich blickte, da traf
er niemand an.
Er sprach: “Ich bin es, Siegfried,
der Geselle dein:
Du sollst mir ohne Sorge vor der
Königin sein.” (467)
Er sprach: “Gib aus den Händen
den Schild, lass mich ihn tragen.
Behalte wohl im Sinne, was du mich
hörest sagen:
Du habe die Gebärde, ich
will das Werk bestehn.”
Als er ihn erkannte, da war ihm
Liebes geschehn. (468)
* “Verhehl auch meine
Künste, die darfst du niemand sagen;
So mag die Königstochter
wenig Ruhm erjagen
An deinem edeln Leben, worauf ihr
sinnt der Mut.
Nun sieh doch, wie so furchtlos vor
dir die Königin tut.” (469)
Da schoss mit großen
Kräften die herrliche Maid
Auf einen neuen Schildrand,
mächtig und breit,
Den trug an seiner Linken der
Siegelinde Kind:
Das Feuer sprang vom Stahle als ob es
wehte der Wind. (470)
Des starken Spießes Schneide
den ganzen Schild durchdrang,
Dass das Feuer lohend aus den Ringen
sprang.
Von dem Schuss strauchelten die
kraftvollen Degen:
War nicht die Tarnkappe, sie
wären beide tot erlegen. (471)
Siegfried dem kühnen vom
Munde brach das Blut.
Bald hatt er sich ermannet: da nahm
der Degen gut
Den Spieß, den sie
geschossen ihm hatte durch den Rand:
Den warf ihr bald zurücke
des starken Siegfriedes Hand. (472)
* Er dacht: “Ich will nicht
schießen das schöne Mägdelein.”
Des Spießes Schneide kehrt'
er hinter den Rücken sein;
Mit der Speerstange schoss er auf ihr
Gewand,
Dass es laut erhallte von seiner
kraftreichen Hand. (473)
Das Feuer stob vom Panzer, als trieb'
es der Wind.
Es hatte wohl geschossen
König Siegmunds Kind;
Ihr reichten nicht die
Kräfte vor solchem Schuss zu stehn:
Das wär von König
Gunthern in Wahrheit nimmer geschehn. (474)
Brunhild die Schöne bald auf
die Füße sprang.
“Edler Ritter Gunther, des Schusses
habe Dank!”
Sie wähnte noch, er
hätt es mit seiner Kraft getan;
Nein, gefället hatte sie ein
viel stärkerer Mann. (475)
Da trat sie hin geschwinde, zornig
war ihr Mut,
Den Stein hoch erhob sie, die edle
Jungfrau gut;
Sie schwang ihn mit Kräften
weithin von der Hand,
Dann sprang sie nach dem Wurfe, dass
laut erklang ihr Gewand. (476)
Der Stein war geflogen zwölf
Klafter von dem Schwung:
Die Jungfrau wohl geschaffen
erreicht' ihn doch im Sprung.
Hin ging der schnelle Siegfried, wo
der Stein nun lag:
Gunther musst ihn wägen, des
Wurfs der Verholne plag. (477)
Siegfried war verwogen,
kräftig und lang;
Den Stein warf er ferner, dazu er
weiter sprang:
Von seinen schönen
Künsten empfing er Kraft genug,
Dass er in dem Sprunge den
König Gunther noch trug. (478)
* Der Sprung, der war ergangen, der
Stein lag nun da,
Gunther wars, der Degen, den man
einzig sah.
Brunhild die schöne ward vor
Zorne rot;
Gewendet hatte Siegfried dem
König Gunther den Tod. (479)
Zu ihrem Ingesinde sprach laut die
Fürstin da,
Als sie gesund den Helden an des
Kreises Ende sah:
“Ihr meine Freund und Mannen, tretet
gleich heran:
Ihr sollt dem König Gunther
alle werden untertan.” (480)
Da legten die Kühnen die
Waffen von der Hand,
Und boten sich zu
Füßen von Burgondenland
Gunther dem reichen, so mancher
kühne Mann:
Sie wähnten all, er
hätte das Spiel mit seiner Kraft getan. (481)
Er grüßte sie gar
minniglich: Wohl war er tugendreich.
Da nahm ihn bei den Händen
das Mägdlein ohne gleich:
Sie erlaubt' ihm zu gebieten in ihrem
ganzen Land;
Da freuten des sich alle die Degen
kühn und gewandt. (482)
Sie bat den edeln Ritter mit ihr
zurück zu gehn
Zu dem weiten Saale. Als das war
geschehn,
Da bot man den Recken der Dienste
desto mehr:
Dankwart und Hagen, die litten es
ohne Wehr. (483)
Siegfried der schnelle weise war
genug,
Dass er die Tarnkappe zum Schiffe
wieder trug;
Dann ging er zu dem Saale, wo manche
Fraue saß,
Und er mit andern Degen alles Leides
vergaß. (484)
* “Was säumet ihr, mein
Herre? Was beginnt ihr nicht die Spiel',
Euch will die Königstochter
erteilen doch so viel,
Und lasst uns bald erschauen, wie es
damit bestellt?”
Als wüsst er nichts von
allem, so tat der listige Held. (485)
* Da sprach die Königstochter:
“Wie konnte das geschehn,
Dass ihr nicht habt die Spiele, Herr
Siegfried, gesehn,
Worin hier obsiegte König
Gunthers Hand?”
Zur Antwort gab ihr Hagen aus der
Burgonden Land: (486)
* Er sprach: “Da habt ihr, Fraue, uns
betrübt den Mut:
Da war bei dem Schiffe Siegfried der
Degen gut,
Als der Vogt vom Rheine das Spiel
euch abgewann;
Drum ist es ihm unkundig,” sprach der
Held in Gunthers Bann. (487)
“Nun wohl mir dieser Märe,”
sprach Siegfried der Degen,
“Dass hier eure Hochfahrt also ist
erlegen,
Und jemand lebt, der euer Meister
möge sein.
Nun sollt ihr, edle Jungfrau, uns
hinnen folgen an den Rhein.” (488)
Da sprach die Wohlgetane: “Das mag
noch nicht geschehn:
Erst frag ich meine Vettern, und die
in meinem Lehn.
Ich darf ja nicht so leichthin
verlassen dieses Land:
Meine besten Freunde, die werden erst
noch besandt.” (489)
Da ließ sie ihre Boten nach
allen Seiten gehn:
Sie besandte ihre Freunde und die in
ihrem Lehn,
Dass sie zum Isensteine
kämen unverwandt;
Einem jeden lies sie geben reiches,
herrliches Gewand. (490)
Da ritten alle Tage, beides,
spät und früh,
Der Veste Brunhildens die Recken
scharweis zu.
“Nun jadoch,” sprach da Hagen, “was
haben wir getan?
Wir erwarten uns zum Schaden der
schönen Brunhilde Bann. (491)
Wenn sie mit ihren Kräften
kommen in dies Land,
Der Königin Gedanken, die
sind uns unbekannt:
Wie, wenn sie also zürnet,
dass wir sind verloren?
So ist das edle Mägdlein uns
zu großen Sorgen geboren!” (492)
Da sprach der starke Siegfried: “Dem
will ich widerstehn.
Was euch da Sorge schaffet, das lass
ich nicht geschehn:
Ich will euch Hilfe bringen her in
dieses Land
Durch auserwählte Recken:
Die sind euch noch unbekannt. (493)
Ihr sollt nach mir nicht fragen, ich
will von hinnen fahren;
Gott mag eure Ehre derweilen wohl
bewahren.
Ich komme bald zurücke und
bring euch tausend Mann
Der allerbesten Degen, deren ich
Kunde je gewann.” (494)
“So bleibt auch nicht zu lange,” der
König sprach da so,
“Wir sind aus guten Gründen
eurer Hilfe froh.”
Er sprach: “Ich komme wieder gewiss
in wenig Tagen;
Dass ihr mich weg gesendet sollt ihr
der Königin sagen.” (495)
|