5. Abenteuer
Wie Siegfried
Kriemhilden zuerst ersah
Man sah der Helden täglich
reiten an den Rhein,
Die bei dem Hofgelage gerne wollten
sein.
Die Gunthern zu Liebe kamen in das
Land,
Deren bot man Etlichen so Rosse wie
auch Gewand. (269)
Da waren auch die Sitze allen schon
erhöht,
Den Höchsten und den Besten,
wie die Sage geht,
Zweiunddreißig
Fürsten bei dem Hofgelag:
Da zierten alle Frauen sich um die
Wette für den Tag. (270)
Da zeigte sich geschäftig
der junge Geiselher.
Die Heimischen und Fremden mit
gütlicher Gebehr
Empfing er sie mit Gernot und beider
Fürsten Bann:
Wohl grüßten sie
die Degen, wie es nach Ehren ward getan. (271)
Viel goldroter Sättel
führten sie ins Land;
Zierliche Schilde und herrlich Gewand
Brachten sie zum Rheine bei dem
Hofgelag:
Mancher Ungesunde der Freude von
neuem pflag. (272)
Die wund im Bette lagen und litten
harte Not,
Die mussten nun vergessen wie bitter
sei der Tod;
Die Siechen und die Kranken
vergaß man zu beklagen:
Es freute sich ein jeder entgegen
festlichen Tagen. (273)
Wie sie da leben wollten im
gastlichen Genuss!
Wonnen ohne Maßen, Freuden
im Überfluss
Hatten alle Leute, so viel man immer
fand:
Da hob sich große Freude
über Gunthers ganzes Land. (274)
An einem Pfingsttage sah man des
Morgens ziehn
Wonniglich gekleidet gar manchen
Ritter kühn,
Fünftausend oder
drüber, dem Hofgelag entgegen;
Da hub um die Wette viel Kurzweil
sich allerwegen. (275)
Der Wirt, der hatt im Sinne, was er
schon längst erkannt,
Wie so aus ganzer Seele der Held von
Niederland
Seine Schwester liebe, ob er sie nie
gesehn,
Der man den Preis erteilte vor allen
Jungfrauen schön. (276)
* Er sprach: “Nun ratet alle, Freund
oder Untertan,
Wie wir das Hofgelage am besten
ordnen an,
Dass man uns nicht drum schelten
möge nach der Zeit;
Es liegt doch an den Werken zuletzt
das Lob, das man uns beut.” (277)
Da sprach zu dem Könige der
Degen Ortwein:
“Wollt ihr mit vollen Ehren bei dem
Hofgelage sein,
So lasst die lieben Kinder vor euern
Gästen sehn,
Denen so viel Ehren bei den Burgonden
geschehn. (278)
“Was wäre Mannes Wonne, was
sollt er gerne schaun,
Wenn nicht schöne
Mägdlein und herrliche Fraun?
Drum lasst eure Schwester zu den
Gästen gehn.”
Der Rat war manchem Helden zu
großer Freude geschehn. (279)
“Dem will ich gerne folgen,” der
König sprach da so.
Alle die es hörten waren
darüber froh.
Er entbots Frau Utens Tochter
wohlgetan,
Dass sie mit ihren Mägdelein
zu Hofe ginge hinan. (280)
Da ward aus den Schreinen gesuchet
gut Gewand,
So viel man in der Lade des edeln
Staates fand,
Von Borten und von Spangen: Des lag
genug bereit.
Da zierte sich gar ritterlich manche
waidliche Maid. (281)
Mancher junger Recke
wünschte heut so sehr,
Dass er bei den Frauen gern gesehen
wär,
Dass er dafür nicht
nähme eines reichen König Land:
Sie sahen die da gerne, die ihnen
waren bekannt. (282)
Da ließ der reiche
König mit seiner Schwester gehn
Hundert seiner Recken, zu ihrem
Dienst ersehn,
Mit ihr und seiner Mutter, die
Schwerter in der Hand:
Das war das Hofgesinde in der
Burgonden Land. (283)
Ute die reiche sah man mit ihr
kommen,
Die hatte schöner Frauen
sich zum Geleit genommen
Hundert oder drüber,
geschmückt mit reichem Kleid;
Auch ihrer Tochter folgte manche
waidliche Maid. (284)
Aus eines Zimmers Türe sah
man sie alle gehn.
Da musste großes
Drängen von Helden bald geschehn,
Die alle harrend standen, ob es
möge sein,
Dass sie da fröhlich
sähen dieses edle Mägdelein. (285)
Da kam die Minnigliche: So tritt das
Morgenrot
Hervor aus trüben Wolken. Da
schied von mancher Not
Der sie im Herzen hegte, was lange
war geschehn.
Er sah die Minnigliche nun gar
herrlich vor sich stehn. (286)
Von ihrem Kleide leuchtete mancher
Edelstein,
Ihre rosenrote Farbe gab minniglichen
Schein.
Was jemand wünschen mochte,
er musste doch gestehn,
Dass er auf dieser Erde noch nichts
so Schönes gesehn. (287)
Wie der lichte Vollmond vor den
Sternen schwebt,
Des Schein so hell und lauter sich
aus den Wolken hebt,
So glänzte sie in Wahrheit
vor andern Frauen gut:
Das mochte wohl erheben hier manchem
Helden den Mut. (288)
Die reichen Kämmerlinge
schritten vor ihr her;
Die hochgemuten Degen ließen
es nun nicht mehr:
Sie drängten, dass sie
sähen die minnigliche Maid.
Siegfried dem Degen war es leib und
wieder leid. (289)
Er sprach in seinem Sinne: “Wie dacht
ich je daran,
Dass ich dich minnen sollte? Das ist
ein eitler Wahn;
Soll ich dich aber meiden so
wär ich sanfter tot.”
Er ward von Gedanken oft bleich und
oft wieder rot. (290)
Da sah man den Sieglinden-Sohn so
minniglich da stehn,
Als ob er wär entworfen auf
einem Pergamen
Von guten Meisters Händen:
Gern man ihm gestand,
Dass man nie im Leben so
schönen Helden noch fand. (291)
Die mit der Fraue gingen, die
hießen aus den Wegen
Jeden vor ihr weichen: dem folgte
mancher Degen.
Sie freuten sich im Herzen die
Wonnigen zu schaun:
Man sah in hohen Züchten
viel der waidlichen Fraun. (292)
Da sprach von Burgonden der Herre
Gernot:
“Dem Helden der so gütlich
euch seine Dienste bot,
Gunther, lieber Bruder, dem bietet
hier den Lohn
Vor allen diesen Recken: Des Rates
spricht mir niemand Hohn. (293)
“Heißet Siegfrieden zu
meiner Schwester kommen,
Dass ihn das Mägdlein
grüße: Das bringt uns immer Frommen:
Die niemals Recken
grüßte, soll sein mit Grüßen pflegen,
Dass wir uns so gewinnen diesen
zierlichen Degen.” (294)
Des Wirtes Freunde gingen, wo man den
Helden fand;
Sie sprachen zu dem Recken aus dem
Niederland;
“Der König hat erlaubet, ihr
sollt zu Hofe gehn,
Seine Schwester soll euch
grüßen, die Ehre soll euch geschehn.” (295)
Der Held in seinem Mute war da hoch
erfreut,
Er trug in seinem Herzen Liebe sonder
Leid,
Dass er der schönen Ute
Tochter sollte sehn:
Minniglicher Weise sie
grüßte Siegfrieden schön, (296)
Als sie den Hochgemuten vor sich stehen
sah.
Da erglühte seine Farbe; die
Schöne sagte da:
“Willkommen, Herr Siegfried, ein
edler Ritter gut.
Da ward ihm von dem Gruße
wohl erhöhet der Mut. (297)
Er neigte sich ihr minniglich, als er
Dank ihr bot;
Da zwnag sie zueinander sehnender
Minne Not;
Mit liebem Blick der Augen sahn
einander an
Der Held und auch das
Mägdelein; das ward verstohlen getan. (298)
Ward freundlich da geliebkos't ihre
weiße Hand
In rechter Herzensminne, das ist mir
nicht bekannt.
Doch kann ich auch nicht glauben, sie
hättens nicht getan:
Zwei liebende Herzen täten
unrecht daran. (299)
Zu des Sommers Zeiten und in des
Maien Tagen
Durft er in seinem Herzen nimmer
wieder tragen
So viel der hohen Wonne, als er da
gewann,
Da sie ihm ging zur Seite, die der
Held zu minnen sann. (300)
Da gedachte mancher Recke: “Hei!
Wär mir so geschehn,
Dass ich ihr ging zur Seite, wie ich
ihn gesehn,
Oder bei ihr läge! Das
nähm ich gerne hin.”
Es diente nie ein Recke so gut einer
Königin. (301)
Aus welchen Königs Landen
ein Gast gekommen war,
Er nahm im ganzen Saale nur dieser
beiden wahr.
Ihr ward erlaubt zu küssen
den waidlichen Mann:
Ihm ward auf dieser Erde nie so
Liebes getan. (302)
Von Dänemark der
König begann und sprach sogleich:
“Des hohen Grußes willen
liegt mancher krank und bleich,
Wie ich nun wohl gewahre, von
Siegfriedens Hand:
Gott lass ihn nimmer wieder kommen in
der Dänen Land.” (303)
Dass hieß man allenthalben
weichen aus den Wegen
Der schönen Kriemhilde:
manchen kühnen Degen
Sah man wohl gezogen mit ihr zur
Kirche gehn.
Da ward von ihr geschieden dieser
Degen ausersehn. (304)
Da ging sie zu dem Münster;
ihr folgten viel der Fraun.
Da war so wohl gezieret die Königin
zu schaun,
Dass da hoher Wünsche
mancher ward verloren;
Sie war zur Augenweide manchem Recken
auserkoren. (305)
Kaum erharrte Siegfried bis schloss
der Messgesang;
Er mochte seinem Heile des immer
sagen Dank,
Dass ihm die so hold war, die er im
Herzen trug:
Auch war er der Schönen nach
Verdienste hold genug. (306)
Als sie aus dem Münster nach
der Messe trat,
Zu ihr zurück zu gehen man
den Kühnen bat.
Da begann ihm erst zu danken die
minnigliche Maid,
Dass er vor allen Recken so
kühn gefochten im Streit. (307)
“Nun lohn euch Gott, Herr Siegfried,”
so sprach das edle Kind,
“Dass ihrs verdienen konntet, dass
euch die Recken sind
So hold mit ganzer Treue, wie sie
zumal gestehn.”
Da begann er Frau Kriemhilden minniglich
anzusehn. (308)
“Stets will ich ihnen dienen,” sprach
Siegfried der Degen,
“Und will mein Haupt zur Ruhe niemals
niederlegen
Bis ihr Wunsch geschehen,
hält mir das Leben an:
Das sei zu euerm Dienste, meine Frau
Kriemhilde, getan.” (309)
Innerhalb zwölf Tagen, so
oft es neu getagt,
Sah man bei dem Degen die wonnevolle
Magd,
So sie zu Hofe durfte vor ihre
Freunde gehn.
Der Dienst war dem Recken aus
großer Liebe geschen. (310)
Freude und Wonne und hohen
Jubelschall
Sah man alle Tage vor König
Gunthers Saal,
Davor und darinnen, gar manchen
kühnen Mann.
Ortwein und Hagen großer
Wunder viel getan. (311)
Was man zu üben
wünschte, des waren gleich bereit
In völliglichem
Maße die Degen kühn im Streit.
Da machten vor den Gästen
die Recken sich bekannt:
Davon so war gezieret König
Gunthers ganzes Land. (312)
Die verwundet lagen wagten sich an
den Wind:
sie wollten kurzweilen mit dem
Ingesind,
Schirmen mit den Schilden und
schießen mit dem Schaft:
Das halfen ihnen viele; sie hatten
gar große Kraft. (313)
Bei dem Hofgelage ließ sie
der Wirt verpflegen
Mit der besten Speise; es durfte sich
nicht regen
Nur der kleinste Tadel, der
Fürsten mag entstehn:
Man sah in jetzo freundlich hin zu
seinen Gästen gehn. (314)
Er sprach: “Ihr guten Recken, bevor
ihr reitet hin,
So nehmet meine Gabe: Also steht mein
Sinn,
Ich will euch immer danken;
verschmähet nicht mein Gut,
Es unter euch zu teilen, dazu hab ich
festen Mut.” (315)
Die vom Dänenlande sprachen
gleich zur Hand:
“Bevor wir wieder reiten heim in
unser Land,
Gewährt uns steten Frieden,
das tut uns Recken Not:
Uns sind von euren Degen viel der
leiben Freunde tot.” (316)
Geheilt von seinen Wunden war
Lüdegast in der Zeit,
Der Vogt der Sachsen mochte genesen
wohl vom Streit.
Etliche Tote ließen sie im
Land.
Da ging der König Gunter hin
wo er Siegfrieden fand. (317)
Er sprach zu dem Recken: “Nun rate,
wie ich tu:
Unsre Gäste wollen reiten
morgen fruh;
Sie wünschen stete
Sühne mit mir und meinem Bann:
Nun rate, Degen Siegfried, was dich
dünke wohlgetan. (318)
Wes sich die Herrn
getrösten, das will ich dir sagen:
Was fünfhundert
Mähren an Golde mögen tragen,
Das bieten sie mir gerne für
ihre Freiheit an.”
Da sprach aber Siegfried: “Ihr
tätet übel daran. (319)
Ihr sollt sie ungehindert von hinnen
lassen fahren;
Nur dass die edeln Recken
fürder sich bewahren
Vor feindlichem Reiten her in euer
Land,
Lasst euch zum Pfande geben der
beiden Könige Hand.” (320)
“Dem Rate will ich folgen, sie ziehn
damit hindann.”
Da ward es seinen Feinden beiden
kundgetan,
Ihr Gold begehrte niemand, das sie
geboten eh.
Daheim den lieben Freunden war nach
den Heermüden weh. (321)
Viel Schilde Schatz beladen trug man
da herbei:
Das teilt' er ungewogen seinen
Freunden frei,
An fünfhundert Marken oder
gar noch mehr;
Gernot riet es Gunthern, dieser Degen
kühn und hehr. (322)
Da baten sie um Urlaub, sie wollten
nun von dann.
Die Gäste gingen alle vor
Kriemhild heran,
Und dahin auch wo Frau Ute
saß, die Königin.
Es zogen nie mehr Degen so wohl
beurlaubt dahin. (323)
Die Herbergen leerten sich, als sie
von dannen ritten;
Doch verblieb im Lande mit herrlichen
Sitten
Der König mit den Seinen und
mancher edle Mann:
Die gingen alle Tage zu Kriemhilden
heran. (324)
Da wollt auch Urlaub nehmen Siegfried
der gute Held,
Verzweifelnd zu erwerben, worauf sein
Sinn gestellt.
Der König hörte
sagen, er wolle nun von dann:
Geiselher der junge ihn von der Reise
gewann. (325)
“Wohin, edler Siegfried, wohin reitet
ihr?
Höret meine Bitte, bleibt
bei den Recken hier,
Bei Gunther dem Könige und
bei seinem Lehn:
Hier sind viel schöne
Frauen, die lässt man euch gerne sehn.” (326)
Da sprach der starke Siegfried: “So
lasst die Rosse stehn.
Von hinnen wollt ich reiten, das lass
ich mir vergehn;
Tragt auch hinweg die Schilde: wohl
wollt ich in mein Land;
Davon hat mich Herr Geiselher wohl
mit Ehren gewandt.” (327)
So blieb durch Freundes Liebe noch
der kühne Held;
Auch wär ihm wohl nimmer
irgend in der Welt
So wohl als hier geworden: daher es
nun geschah,
Dass er alle Tage die schöne
Kriemhilde sah. (328)
Ihrer hohen Schönheit willen
der Degen da verblieb.
Mit mancher Kurzweile man nun die
Zeit vertrieb;
Nur zwang ihn ihre Minne, die schuf
ihm oftmals Not,
Darum hernach der Kühne lag
zu großem Jammer tot. (329)
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